Warum Betroffene selbst entscheiden können sollten

Die Stimmbevölkerung entscheidet demnächst über eine Verfassungsänderung, welche die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID) in engen Grenzen auch in der Schweiz erlauben würde. Das Thema wirft viele Fragen auf. Überlegungen einer jungen Frau, die selbst mit einer Erbkrankheit lebt.
 
Während die meisten Länder die PID erlauben, ist sie in der Schweiz unzulässig. Aufgrund immer wieder geführter Diskussionen schlägt der Bundesrat nun eine Änderung von Artikel 119 der Bundesverfassung sowie des Fortpflanzungsmedizingesetzes vor. Diese Änderungen lassen die Präimplantationsdiagnostik zu, jedoch nur unter sehr restriktiven Bedingungen. So darf die PID zum Beispiel nur angewendet werden, wenn die Übertragung einer in der Familie vorhandenen Erbkrankheit verhindert werden soll.
 
Persönlich befasse ich mich in zweierlei Weise mit dieser Thematik: Einerseits unterstütze ich als Biologin das Ziel der Forschung, die Muster und Gesetze des menschlichen Lebens zu verstehen sowie diese Erkenntnisse für die Gesundheit des Menschen einzusetzen. Andererseits werde ich als Frau mit einer seltenen Erbkrankheit direkt mit Fragen zur PID konfrontiert.
 
Was bedeutet eine PID für die betroffene Frau?
Der Ablauf der PID mit der vorangehenden künstlichen Befruchtung ist für die Frau physisch und psychisch sehr belastend. Die Hormonkur bewirkt nicht nur eine Aktivierung der Eierstöcke, sondern kann auch Wirkungen auf die Psyche haben, was die Beziehung zum Partner in dieser ohnehin sehr schwierigen Situation zusätzlich auf eine Probe stellen kann. Zudem liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es nach erfolgreicher Befruchtung und Implantation des Embryos zu einer Schwangerschaft kommt, nur etwa bei 25 Prozent. Es kommt vor, dass mehrere Zyklen durchgeführt werden müssen, bis eine Frau schwanger wird.

Jedoch kann dank der PID die Pränataldiagnostik und eine eventuell darauf folgende Abtreibung, die auch sehr belastend ist, umgangen werden. Der Frau wird somit eine Schwangerschaft auf Probe erspart. Während die Langzeitwirkungen der Hormonkuren noch nicht genügend erforscht sind, wurden schon zahlreiche Untersuchungen bei so erzeugten Kindern durchgeführt. Diese Studien haben gezeigt, dass deren Entwicklung trotz der Biopsie der Embryonen nicht beeinträchtigt wurde.

Da die in der Schweiz geltenden Gesetzesvorschriften eine Durchführung der PID derzeit nicht erlauben, müssen Paare, die sich einer Behandlung unterziehen möchten, eine PID-Klinik im Ausland aufsuchen. Diese Möglichkeit steht momentan nur bemittelten Paaren offen, da die Kosten pro Zyklus je nach Land zwischen 6’000 und 10’000 Euro liegen und nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Über längere Zeit betrachtet könnte dies zu einer Aufspaltung in eine Zweiklassengesellschaft führen. Jedoch  überlegen sich Paare aufgrund des grossen finanziellen und organisatorischen Aufwands intensiver, ob die Durchführung einer PID in ihrer Situation sinnvoll ist.
 
Persönliche Fragen
Ich selber stelle mir folgende Fragen: Welche Risiken birgt eine Schwangerschaft nicht nur für mein Baby, sondern auch für mich? Ist es sinnvoll, eine schon für mich gefährliche Schwangerschaft einzugehen und ein Kind auszutragen, welches eventuell kurz nach der Geburt oder schon im Mutterleib stirbt oder sonst lebenslänglich mit Erschwernissen zu kämpfen hat?
Wie viel darf ich als Mutter meinem Kind in unserer «Schöner-schneller-besser-Gesellschaft» antun? Und hier stellt sich eine neue Frage: Wann «tue ich meinem Kind etwas an»? Von Befürwortern der PID hört man immer wieder, dass dank dieser Methode «Leid» verhindert werden könne. Doch ab wann leidet der Mensch? Viele Menschen, die mit einer Behinderung leben, empfinden genauso viel Glück und Zufriedenheit wie gesunde Personen. Wo liegen die Grenzen?
 
Illusorisch ist die Annahme, dass dank der PID Behinderungen verhindert werden können. 95 Prozent aller Behinderungen entstehen im Laufe des Lebens durch Unfälle, Krankheiten, Alter oder auch durch Spontanmutationen. Die fünf Prozent, die durch die PID verhindert werden könnten, würden in unserer Gesellschaft nicht auffallen. Dennoch wird so die Basis einer eugenischen Denkweise geschaffen. In bestimmten Ländern wird schon darüber diskutiert, ob dank der Einführung der PID die Versicherungskosten gesenkt werden könnten. Aus solchen Haltungen kann ein sozialer Druck entstehen, der die Entscheidung einer Frau, die gerne schwanger werden möchte, zusätzlich erschwert. Wichtig ist das Angebot von Beratungen durch entsprechend geschulte Fachpersonen, denn zur Entscheidungsfindung ist das Hintergrundwissen zur PID sowie zu einer möglichen Behinderung das A und O.
 
Lieber schweigen
Die wichtigste Bedeutung hat jedoch das soziale Umfeld der Frau. Die Diskussion mit Verwandten oder Freunden würde eine Entscheidung erleichtern und die belastende Zeit während der Behandlung und der Schwangerschaft vereinfachen. Da die PID in der Schweiz nicht zugelassen ist, trauen sich die Paare nicht, mit den ihnen nahestehenden Personen über ihr Vorhaben zu diskutieren. Sie haben Angst, in deren Augen etwas Verbotenes zu tun oder unmoralisch zu handeln. Aus diesem Grund verzichten sie auf Gespräche ausserhalb von Fachkreisen. Eine Zulassung der PID in der Schweiz würde diese Hemmschwelle teilweise abbauen und Paare in ihrer Entscheidung unterstützen.

Dennoch ist es aus meiner Sicht keiner aussenstehenden Person möglich, die oben gestellten Fragen für mich zu beantworten. Daher bin ich der Meinung, dass es jedem einzelnen Paar selber überlassen sein sollte, ob es eine PID durchführen lassen möchte oder nicht. Die vorgesehenen restriktiven Bedingungen für die Zulassung der PID sollten aber dringendst eingehalten werden, denn nur so können wir einen zukünftigen Missbrauch dieser Technik verhindern.
 
Fabienne Weiss